Freitag, 11. Dezember 2009

Ein süßer Traum

Es war nicht lange her, dass ich sie kennen gelernt habe. Wir trafen uns ganz zufällig auf der Straße und verbrachten spontan den Tag miteinander. Wie mein Herz schlug. Es gibt nichts Schöneres als den goldenen Schimmer auf den Haaren einer Frau, wie er entsteht, wenn die Herbstsonne ihre seidene Mähne streichelt. Jetzt frage ich mich wieso ich es nicht gesehen habe. Nun sind es nur noch Bilder in meinem Kopf. An diesem Tag waren es nur ihr Arsch oder ihre Lippen, was interessierten mich ihre Haare? Darüber konnte ich mir schließlich auch noch Gedanken machen, sobald ich sie gehabt habe, nicht wahr? Ich dachte nur daran, wie ich so wohl am schnellsten ins Bett bekomme. Ich ahnte nicht, dass ich vom ersten Moment an ihr gehörte.

Über Mangel an Frauen konnte ich nie klagen. Ich fand mich selbst nicht besonders gut aussehend, aber ich wusste, dass das nicht entscheidend war. Es war etwas anderes. Etwas, was ich anscheinend hatte. Wenn ich wollte konnte ich mir jeden Abend eine Frau mitnehmen. Ein witziger Spruch, eine markante Geste und dazu eine gewisse Portion Zielstrebigkeit. Das war alles. Doch bei ihr war es anders. Wir spielten miteinander. Ich glaube, sie wusste von Anfang an wie es ausgehen würde, doch so leicht wollte sie es mir nicht machen.

Ich bin es nicht gewöhnt den Frauen etwas zu beweisen, eher umgekehrt. Aber ich wollte sie, also legte ich mich ins Zeug. Ich machte sogar Komplimente. Sie schien um einiges intellektueller zu sein als meine sonstigen Frauen. Vielleicht dauerte es deswegen länger, bis ich sie um den Finger hatte. Jedenfalls habe ich es mir so gedacht. Wir kamen uns näher, während wir am Flussufer entlanggingen und sie in die Sonne blinzelte. Meine Hand fand zu ihrer. Sie war warm, trotz des kalten Windes. Ich blieb stehen und sah sie an. “Wir müssen weiter.”, sagte sie. “Ich habe leider nicht den ganzen Tag Zeit.” Ich weiß noch, wie ich mir in diesem Moment dachte, dass ich gewonnen hatte. Jetzt frage ich mich, was ich gewonnen hatte, oder was verloren. Ich zog sie zu mir und küsste sie lange. “Lass uns bei mir etwas essen.”, schlug ich vor und sie willigte ein. “Dann kannst du immer noch nach Hause gehen, wenn du möchtest.”
Als ich vor sie das Essen auf den Tisch stelle, war mir kurz so als könnte ich ihr Herz schlagen hören. Sie sah mich an, ihr Blick war ganz warm und sagte mehr als Worte jemals sagen könnten. Dieser Abend war anders als die ganzen anderen. Worte sind der Schlüssel ins Herz einer Frau. Doch ich saß da und sah sie einfach nur an. Das Kerzenlicht spiegelte sich in ihren Augen. Ich konnte mich an ihr nicht satt sehen. Es war wie eine Sonnen-finsternis. Ich strich ihr wortlos mit der Spitze meines Zeigefingers über die Augenbrauen, unsere Gesichter näherten sich. Ihre Augenlieder sanken, wir verfielen beide in einen Traum. Ich beugte mich zu ihr vor und küsste ihren Hals, sie roch unsterblich gut.
Als wir am nächsten Morgen aufwachten waren wir wie benebelt. Keine Droge ist so stark, wie der Hormoncocktail Liebe. Ihr Kopf ruhte auf meiner Brust. Sie war warm, ich spürte ihren Herzschlag.

Nie hatte eine Frau es geschafft, mich so zu verwirren. Es vergingen ein paar Tage, in denen ich nichts von ihr hörte. Verdammt, wieso hatte ich ihr nur meine Nummer gegeben und mir nicht auch ihre geben lassen? Wieso war ich plötzlich so blind? So etwas passierte mir doch nicht. Nicht, dass ich bei anderen Frauen das Bedürfnis hätte mit ihnen eine weitere Nacht zu verbringen, aber dennoch ließ ich mir immer ihre Nummern geben. Und sei es nur für mein männliches Ego. 
Es vergingen Stunden, wo ich einfach nur da saß und an sie dachte, das Telefon anstarrend. Als sie gegangen war hatte sie mir eine Nachricht hinterlassen. Mit Lippenstift hatte sie auf den Badezimmerspiegel geschrieben: “Es war wundervoll, Marie”. 
Was verdammt noch mal tat ich da? Als hätte ich nichts Besseres zu tun gehabt, zum Beispiel mit meinen Kumpels trinken zu gehen. Wir trafen uns dann immer in einer Kneipe oder Bar, wo wir einen Drink nach dem anderen bestellten bis wir irgendwann so laut waren, dass Alle auf uns aufmerksam wurden. Dann ging es ran an die Frauen und schließlich in ihr Hösschen. Es war immer das Gleiche, fast schon langweilig. Mein Blick wanderte wieder zum Telefon. Mir schien alles besser als nur so da zu sitzen, während ich mir den Kopf zerbrach, was überhaupt passiert war. Es war die der Morgen nach einer verträumten Nacht und trotzdem konnte man sich an den Traum nicht erinnern. Vielleicht machte gerade das ihn so verführerisch. Dennoch konnte ich mich nicht aufraffen. Ich hätte wissen müssen, dass irgendwas so anders war als sonst, als ich nicht einmal eine andere Frau anrufen konnte. Ich hatte diesen Schuhkarton unter dem Bett stehen, in dem sich haufenweise Bierdeckel, Servierten und andere Zettel befanden. Auf jedem stand ein Name mit Telefonnummer, ich schrieb sogar immer noch das Datum mit darauf. Eigentlich unnötig viel Mühe dafür, dass ich eben doch nicht anrief. Aber falls es doch einmal dazu kam, wusste ich immerhin, dass ich mit dieser Frau nicht mehr gesprochen hatte, seitdem ich vor drei Monaten früh morgens ihre Wohnung verlassen hatte. Das war wichtig, weil ich dann im Gespräch nicht direkt im ersten Satz auf Sex zu sprechen kam, sondern eben erst im dritten oder vierten. Und dann war da wieder dieses verfluchte Telefon, es wollte nicht klingeln. 
Es vergingen Wochen. Langsam musste ich akzeptieren, dass die Sache erledigt war. Ich verstand es nicht, aber ich musste es akzeptieren. Ich wünschte mir sie zu vergessen. So schnell wie ich mich verliebt hatte, so schnell wollte ich sie aus meinem Gedächtnis streichen. Ich stellte mir immer noch die Frage, was schief gelaufen war. Sie liebte mich, da war ich sicher. Aber fehlte ihr wohlmöglich das Vertrauen? Habe ich ihr vielleicht nicht gezeigt, was ich empfand? Nein, das konnte unmöglich sein, so gefühlskalt war ich noch nicht. Sie war für mich etwas Besonderes, einzigartig. Vom ersten Moment. 
Trotzdem, sie war wie ein Phantom. Es war ausweglos. Ich wollte nicht weiter in die gleiche, sinnlose Richtung laufen. Es waren ein paar schwere Wochen, aber es war doch nur eine Frau. Es ist dumm wissentlich gegen eine Wand anzurennen. Das war immer so gewesen. Ich verließ mich also auf meine Erfahrungen.

Ich bestellte einen Scotch und zwinkerte dabei der Barfrau zu, sie verdrehte nur genervt die Augen. Ich kann es ihr nicht mal verübeln. Die meisten Typen, die da so sitzen wie ich es tat, waren einsame Trinker, verlassen von ihren Frauen und nun auf der Suche nach sexueller Abwechslung. Abwechslung in Form einer Frau und nicht der anderen Hand. Aber sie würde noch sehen, dass ich nicht wie diese Typen war. Oder zumindest nicht ausschließlich. Ich hatte andere Qualitäten, welche sollte sie schon bald kennen lernen. 
“Oh, so gestresst heute Abend?”, sagte ich mit ironischem Unterton. 
“Nur bei lästigen Typen wie dir.”
“Pass auf, ich zeige dir nun einen Zaubertrick. Mit diesem Trick kann ich meinen Neffen immer total begeistern, wenn er mal traurig ist. Und wenn du dann immer noch genervt bist gehe ich und du kannst angenehmere Typen bedienen. Wenn er dir aber auch nur ein kleines Schmunzeln entlocken sollte, bekomm ich den nächsten Drink umsonst.” 
“Na da bin ich jetzt aber mal gespannt.” Diesmal lag der ironische Unterton auf ihrer Seite.
Natürlich war es weder ein richtiger Zaubertrick, noch habe ich einen kleinen Neffen. Aber es kommt nun mal gut bei Frauen an, wenn man zeigt, dass man sich um Kinder kümmert. Ich hatte für solche Situationen immer ein Gummiband im Ärmel meiner Jacke gespannt, an dem unter Spannung ein Stift befestigt war. Ich hielt das Gummiband mit meiner Hand verdeckt und zeigte ihr den Stift. Sie bestätigte mir, dass es ein ganz normaler, beschissener Stift sei. Gut erkannt, schlaues Kind! Anschließend ließ ich den Stift auf magische Weise unter mysteriösem Fuchteln verschwinden.
“Das war unglaublich! Wie hast du das denn gemacht? Du musst es mir verraten!”, bettelte sie.
“Ok, pass auf…”, ich sah ihr tief in die Augen. “Solche Sachen sind die meiste Zeit wirklich nur schlechte Tricks. Aber manchmal, wenn auch selten, gibt es tatsächlich echte Magie. Diese Magie hat dir gerade dieses freundliche Strahlen in die Augen gezaubert.” Ich habe es ihr direkt ins Gesicht gesagt, sie war hingerissen. Ich sagte die Wahrheit. 
Ich weiß, dass ich ein verdammter Lügner bin, trotzdem sage ich, was ich denke, wenn ich es für richtig halte. Was das angeht bin ich immer ehrlich. Ich weiß, es ist falsch vorzugeben jemand zu sein, der man nicht ist. Aber noch falscher finde ich es, vorzugeben in anderen jemanden zu sehen, den man nicht sieht. Wenn mich der Mundgeruch einer Frau stört oder ich mit ihrer Freundin ins Bett gehe, weil sie mir zu fett ist, sage ich das. Wenn ich sie schon anlüge, bin ich ihr wenigstens in dieser Hinsicht Ehrlichkeit schuldig. Und dieses Leuchten in ihren Augen war zwar müde, aber es hatte etwas Echtes, Schönes an sich.
Sie hielt ihren Teil der Abmachung ein. Den nächsten Drink bekam ich umsonst. Sie erzählte mir, dass sie hier noch eine halbe Stunde zu tun hätte und wir dann doch zu ihr fahren könnten.
“Nur, wenn bei dir zu Hause auch ein gratis Drink drin ist.”
“Für dich mehr als nur einer, Süßer.” Ich schätze, es war die Mischung aus Alkohol und der Aussicht auf Sex, die mich überzeugte. 
Es war nicht mehr als ein mittelmäßiger Fick. Irgendwann lagen wir nackt auf dem Bett und sie wartete, dass ich ihn rein steckte. Sie wurde nicht locker, es fiel ihr zu schwer sich zu entspannen. Ich wollte schnell zum Höhepunkt kommen. Danach nahm ich meine Jacke und ging nach Hause.

Am nächsten Tag wachte ich erst spät auf. Es war seltsam. Normalerweise bellte der Hund des Nachbarn immer, wenn morgens der Briefträger kam, aber heute blieb es still.
Ich stand auf und machte mir einen Kaffee, während ich mit einem halben Ohr die Nachrichten im Radio verfolgte. Angespannte Situation in Afghanistan; Streit um Steuersenkungen… Es war immer das Selbe, wen interessierte so etwas noch?
Als ich nach der Post sah, fiel mir sofort dieser eine Brief auf. “Bitte erst am 10.10. aus- liefern.” Die Handschrift schien ein wenig an die zu erinnern, mit der immer noch “Marie” auf meinem Spiegel geschrieben stand. Ich kam bisher nicht dazu es wegzuwischen.
Meine Hände zitterten, ich zögerte den Brief zu öffnen. Vielleicht wollte ich nicht wissen, was darin stand. Ich ging zurück in die Küche und setzte mich. Die Sonne schien warm durchs Fenster, sie blendete mich ein wenig, so dass ich leicht blinzeln musste. Dann öffnete ich den Brief. Mein Blick wanderte auf die letzte Seite, er war von Marie. 
Es stand darin, wie sie unsere gemeinsame Zeit genossen habe und wie sie es bedauere, dass uns so wenig Zeit blieb. Ich verstand sie immer weniger. Sie schrieb, dass sie sich für uns mehr Zeit gewünscht hätte, aber so wollte sie es nicht enden lassen. Sie sei glücklich über das, was gewesen war und schrieb, dass auch ich nicht traurig sein sollte, sondern dankbar für etwas Wunderschönes. Es bleibe nun das, was es war. Ein süßer Traum. Der Brief enthielt noch eine Todesanzeige. Maries, sie hatte Krebs.
Ich starrte aus dem Fenster, die Sonne schien nun noch stärker als zuvor. Alles wirkte frisch und natürlich. Dann ging ich ins Badezimmer und sah in den Spiegel. Ich war traurig und spürte eine Träne auf meinem Gesicht nach unten laufen. Ich wollte schlafen. 

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