Montag, 21. Juni 2010

Das alltägliche Bildnis des Dschungels

Mit der Zielstrebigkeit eines rollenden Steins und den Schritten eines Tausendfüßlers geht das Leben hier seinen Gang. Unaufhaltsam, aber für jeden Einzelnen mindestens in gleichem Maße planlos. Wer hat bei anderteinhalb Millionen Menschen schon den Überblick. Es kann jeder nur seinen Weg mit geschnürten Schuhen gehen oder zu Boden sehen und die Schritte zählen. Und wieder Andere schlafen neben ihrem Hund vor tagsüber verlassenen, nachts hell erleuchteten Schaufenstern. 

Wo sich Alster und Elbe Gute Nacht sagen, spielt sich alles ab, was ein Leben so bieten kann. Natürlich abgesehen von extremen Klimaregionen. In der Bahn werden per Handy melodramatische Bände geschlossen und zerrissen.  Wer klug zu sein glaubt, sucht das schnelle Geld in Nutten und Drogen. Andere vergraben sich in Angst und Wut, der Rest ist einfach da, ohne so recht selbst zu wissen, was er soll und was nicht. 
Hamburg, du große Stadt: Wenn ich es hier schaffe, schaffe ich es überall und ich bin auf meinem Weg. 

Zugegeben, ein ziemlich düsteres Bild. Allerdings bestätigt es sich nur in der Perspektive durch die rosarote Brille mit von Zynismus getönten Gläsern. Die guten Seiten sind paradoxerweise die Menschen, denn sie sind bezeichnend für die strahlenden Lichter, die nach Pisse stinkenden Bahnhöfe und das Lachen des kleinen Mädchens auf der Straße. Die Großstadt und vor allem die U-Bahn macht ein Psychologiestudium überflüssig. Statt BAföG bedarf es nur der Fähigkeit zur Reflexion, der seines eigenen Selbst und der seiner Umwelt. Dem interessierten Beobachter bietet sich hier wohl alles, was es für das Überleben zu wissen gilt. Wie vermessen, das als Landei zu schreiben. 
Stimmen tut es trotzdem: 3 Leute sitzen in der gleichen Haltung da, fixiert auf  ihr Handy oder bestenfalls noch ihr Buch. Viele schirmen sich permanent ab durch Kopfhörer oder, was viel schlimmer ist: Ignoranz. Ich frage einen nach einem Taschentuch, er verneint. Da fängt sein Sitznachbar, mit dem er nichts zu tun hat, an in seiner Tasche zu wühlen und gibt mir ein Taschentuch. Ohne, dass ich ihn direkt gefragt hätte. Und so wird auch das düsterste Bild etwas heller. Da, wo ich herkomme hätte das sicher niemand getan.

Dienstag, 1. Juni 2010

"Wohin der Herrgott mich führt"

Ich weiß, zuletzt habe ich meinen kulturell hochwertigen Block etwas schleifen lassen, aber ich hatte zu tun. Ich habe unter anderem ein Auto gesehen, dessen Fahrer sich während der Fahrt die Zähne geputzt hat. 
Abr wenn der Ruf der Welt Dich in die Ferne lockt, wird es Zeit sich ein größeres Pflaster zu suchen. Genau das habe ich getan. Aus unserer kleinen Stadt in NRW hat es mich für die nächsten Monate nach Hamburg zu Sgt. Mercy verschlagen. 
Hier arbeite ich in meinem bekannten Metier, oder unbekanntem Metier... Aber ich will ja auch nicht zu viel verraten. Es sei gesagt, dass ich bei dem, was ich mache, schreibe. 

Natürlich ist das hier einige Nummern größer als es meine Heimat war. Doch die Zeit ist gekommen, dass selbst das verrückteste Küken pflügge wird und das wärmende Nest in den Wind schießt. Aber hier bei Sgt. Mercy ist es ach ziemlich gemütlich. Ich habe eine verlockende Matratze auf dem Boden vor dem Fernseher, direkt in der größten Elektrosmogwolke der ganzen Wohnung. Es ist Mercys alte Matratze, deswegen ist sie 2,30 m lang. Seit Vater war schon als der kleine Mercy noch vier Jahre alt war so schlau und hat im Wissen, dass aus seinem Zögling mal ein ganz großer Kerl würde, direkt zu Beginn ein Bett für lange Menschen gekauft.

Nun haben wir noch unsere Mitbewohnerin, die nicht viel von sich hören lässt, abgesehen von Beschwerden wir seien zu laut und sie müsste um zehn Uhr schlafen. Im Gegenzug hinterlässt sie dafür regelmäßig einige Haare in der Dusche, die ihr entweder ausfallen, die sie sich im Wahn irgendwelcher Stimulationen (was das für Stimulationen sind, lasse ich mal dahingestellt) oder, die sie sich abschneidet um uns zu ärgern. Nur gut, dass sie nach Mercys Worten geschätzt nur alle zwei Monate duscht.
Einmal war sie sogar so frei ein Hösschen für die nächste Wäsche in die Waschmaschine zu tun. Eigentlich kein Problem. Ich stehe nicht auf schmützige Hösschen, weder bei Frauen noch bei Männern, aber das ist eben normal. Außer in diesem Fall, denn dieses Hösschen hatte etwas ziemlich Widerliches an sich. Das ziemlich Widerliche war von roter Farbe und in ausreichender Menge in dem Hösschen eingetrocknet. 
"Der Tampon kam da wohl ein Momentchen zu spät", so formulierte es Mercy. Ja, so siehts wohl aus. Nachgefragt hat er glücklicherweise nicht bei ihr. 

Wie das hier so ist laufen einem täglich die verrücktesten und unterschiedlichsten Menschen über den Weg. Da wäre zum Beispiel der Typ, der an ein Schaufenster gelehnt pennt, mit einer Mütze mit etwas Kleingeld darin vor sich. Echt nett von ihm! Wenn ich mal was für die Parkuhr brauche werde ich auf ihn zurückkommen. Oder da wären noch die netten Damen am Schalter in der U-Bahn. Service-Wüste-Deutschland? Davon ist hier bei Weitem nichts zu spüren. Ich schätze, dass sie so grimmig gucken, weil sie schlecht Zähne haben und mir nur den Anblick ihrer verwahrlosten Kauleiste ersparen wollen. 
Ich bin gespannt, was und wer mich in den nächsten Wochen noch so erwartet. Ich hoffe, dass ich in Zukunft wieder etwas mehr Zeit und Lust finde, Euch auf dem Laufenden zu halten als in den letzten Wochen.

Rock on!