Donnerstag, 25. Februar 2010

Der Zauberlehrling

Frank sah sich im Zimmer um, es wirkte einsam. Vielleicht auch, oder gerade weil es so riesig war, mit dem großen Bett, der Tür zum begehbaren Kleiderschrank daneben und auf der anderen Seite dem Eingang zum Badezimmer. Er saß in dem Sessel vor dem großen Fernseher, auf dem Hocker neben ihm ein Glas halb voll mit Scotch. Er bemühte sich etwas zu hören, irgendwas. Doch da war nichts, tödliche Stille. Nur das Bild des Plasmafernsehers flimmerte vor seinen müden Augen, ohne Ton. 2300 Euro für 130 cm Bilddiagonale, inklusive eines DVD-Players, den Frank verschenkt und sich stattdessen einen anderen gekauft hatte, weil dieser keine Filme aufnehmen konnte. Im Bild räkelten sich nackte Menschen umeinander. Es war schon spät und mehr als Pornos hatte das Fernsehen um die Zeit nicht zu bieten. Der typische Höhepunkt eines typischen Tages. 
Frank war müde von der Show. Es waren wieder viele Menschen gekommen um zu sehen, wie er die physikalischen Grenzen aufhob und das Unmögliche möglich machte. Manche von ihnen waren aber auch einfach nur Kritiker, die ein Ventil brauchten um dem Ärger mit ihren betrügerischen Ehefrauen Luft zu machen. Sie versuchten es immer wieder, doch sie fanden nie etwas zu beanstanden. Franks Show war perfekt, sie war echt.

Als Frank am nächsten Tag aufwachte, schien die Sonne bereits durch die Rollläden. Er putzte sich die Zähne, schmiss eine Aspirin ein und spülte sie mit Bier runter. Er war jedoch nicht der Typ, der schon morgens trank. Vermutlich wäre er es gewesen, wäre er um die Zeit schon wach gewesen. 
Frank suchte seine Jacke. Am Abend hatte er Tom, einen alten Freund, zufällig bei seiner Show getroffen und nun waren sie zum Essen verabredet. Tom wusste nicht, dass Frank als Magier der Mittelpunkt der ganzen Show war. Wie auch, Frank trat unter einem Pseudonym auf. Tom war völlig von den Socken, als Frank in der Lobby zufällig an ihm vorbeiging. Sie hatten sich in der Schule kennen gelernt, damals hatten sie zusammen Französisch. Es war Tom schon damals ein Rätsel gewesen, wie Frank es in jeder Klausur schaffte zu spicken, ohne in all den Jahren einmal erwischt zu werden. Und Frank war gut. Er spickte so hervorragend, dass er nie lernte und trotzdem nur die besten Noten bekam. Aber Tom machte sich letztlich nie weiter Gedanken darum, da Frank anscheinend nicht gern seine Geheimnisse ausplauderte und so lange er ihn abschreiben ließ, war für Tom auch alles in Ordnung. 
„Deine Show war fantastisch! Besonders der Kleinen hat sie gefallen.“, begann Tom, nachdem sie sich einen Tisch gesucht hatten. Es war ein teures Lokal, Frank lud ihn ein.
„Damit meinst du die süße Zwanzigjährige, die in der Lobby neben dir stand?“
„Erstens ist das meine Tochter und zweitens, ist sie vierzehn.“ 
Frank wurde etwas rot: „Naja, sie sieht schon aus wie eine Große.“
„Ich weiß, das geht heutzutage viel zu schnell. Du musst sie unbedingt mal kennen lernen, sie ist ein wundervolles Mädchen.“
„Vielleicht zu ihrem achtzehnten Geburtstag.“ Frank versuchte zu grinsen, aber Tom sah ihn nur etwas verstört an, deswegen musste es ihm wohl misslungen sein. „Tut mir Leid.“, entschuldigte sich Frank. „Das Showgeschäft ist hart und so unecht, deswegen gewöhnt man sich einen Zynismus an, den man nicht mehr los wird.“ 
„Schon in Ordnung. Aber hey, dafür scheinst du ja wirklich eine Menge Kohle zu machen.“ 
Zwei sommerlich gekleidete junge Frauen setzten sich an den Nebentisch. Frank warf ihnen einen Blick zu. „Wie sieht´s mit der Mutter deiner Tochter aus, ist die über alle Berge oder einfach zu Hause geblieben, weil sie meiner Scharlatanerie nicht auf den Leim gehen wollte?“
„Weder noch. Gerade, als ich dir über den Weg gelaufen bin, war sie für kleine Mädchen. Schade, dass wir uns nach der Show nicht mehr gesehen haben, dann hättest du sie kennen gelernt. Aber das wirst du sicher noch.“
„Und jetzt sind deine beiden Frauen unterwegs, um mir meine männlichen Zuschauer für die nächste Show streitig zu machen?!“ Nun grinste auch Tom: „Ja, vermutlich.“
„Naja, über einen Zuwachs an weiblichen Zuschauern würde ich mich vermutlich nicht beklagen.“ Frank starrte aus dem Fenster. 
Einige Minuten und ein paar Drinks später beugte sich Tom ein Stück zu Frank herüber. „Mal ehrlich, Alter. Die ganzen anderen kannst du ja verarschen, aber wir kennen uns zu lange. Wie machst du das? Ich habe schon so einige Pseudozauberer gesehen und genug, die gerne welche wären, aber du stellst sie alle in den Schatten. Du lässt deine Tricks mit einer Ignoranz geschehen, als wären sie das Normalste auf der Welt. Als wäre gar kein Trick dahinter. Manchmal scheint es fast so, als wären diese Dinge für dich banal und verachtenswert. Was ist dein Geheimnis?“
Frank sah ihn etwas mitleidig an, dann winkte er ab. „Nichts weiter, als ein bisschen belanglose Zauberei.“ „Mit belangloser Zauberei gewinnt man aber nicht die Herzen tausender, begeisterter Zuschauer.“ „Ihr Herzen gewinne ich auch nicht, nur ihr Geld. Und das schaffe ich mit belangloser Zauberei“ Frank sah ihm tief in die Augen und sagte leise: „Aber nur, wenn es tatsächlich Zauberei ist. Für die einen belanglos, für die anderen unglaublich. Nicht mehr und nicht weniger als echte Magie.“ Tom schaute nun sehr verwirrt drein. Aber Frank blickte auf den Strohhalm in seinem Glas. Ohne, dass Frank etwas tat, zog sich plötzlich der Whisky-Cola im Glas im Strohhalm nach oben, bis der Strohhalm komplett gefüllt war. Dann schwebte er wie durch Geisterhand über Toms Glas, während Franks Augen ihm konzentriert folgten. Schließlich lief die Whisky-Cola Mischung hinunter in Toms Glas bis auch der Strohhalm hinunter fiel. „Scheiße tut mir Leid, jetzt habe ich dir ja deinen Vodka-Cranberry versaut. Ich bestelle dir einen neuen.“, sagte Frank, der beinah von Tom unterbrochen wurde: „Das war Wahnsinn!“ Er hatte mittlerweile riesige Augen bekommen und konnte nicht glauben, was er soeben gesehen hatte. 
Tom rang um Fassung. „Hey, wie... Alter, wow. Soll das bedeuten...? Aber das gibt es doch gar nicht. Da steckt doch ein Trick dahinter!“ Frank konnte sich ein schiefes, dennoch etwas gelangweiltes Grinsen nicht verkneifen: „Kumpel, ich verdiene 15 Millionen im Jahr mit solchen Kindereien. Und im Internet wirst du niemals Erklärungen für meine Kunststücke finden. Wenn es tatsächlich die Aliens geben sollte, die vermeintlicher Weise Uri Geller entführt haben, dann stamme ich definitiv von ihnen ab.“ Tom musste sich bemühen seine Kinnladen im Griff zu behalten, er war sprachlos. 
„Seit ich denken kann, geschahen immer wieder seltsame Dinge um mich herum, bis ich schließlich heraus fand, dass sie nicht einfach so geschahen. Nein, ich zog sie an. Diese Wunder entsprangen meinem Geist. Ich lernte die Dinge um mich herum zu kontrollieren und es wurde immer einfacher. Keine Ahnung, wieso das gerade bei mir so ist. Ich habe mit meinen Eltern nie darüber gesprochen, aber sie scheinen auch nichts davon zu wissen. Sonst hätten sie sich wohl spätestens mit mir zusammengesetzt und es mir erklärt, nachdem ich das erste Mal im Fernsehen aufgetreten bin.“ 
Jackie bekam sich langsam wieder unter Kontrolle: „Sag mal kannst du auch Gedanken lesen, oder andere Menschen manipulieren?“ 
„Nicht mehr als normale Menschen auch. Aber das ist auch nicht nötig, Frauen lassen sich so oder so schnell beeindrucken.“ 
„Ich wette, du hast haufenweise Groupies...“ Frank merkte, dass Tom diese Frage nun schon die ganze Zeit auf der Zunge lag.
„Ich würde die Frauen, die beim einkaufen zufällig sehen, wie eine Weintraube über meiner Hand schwebt, nicht unbedingt als Groupie bezeichnen.“ Frank zwang sich ein verschmitztes Lächeln ab. „Eigentlich ist das auf Dauer eher unbefriedigend. Es ist nicht anders als ginge ich zu einer Nutte. Nur, dass es hier noch einfacher und vor allem billiger ist.“
„Wie bitte!? Du führst das Leben, von dem so viele Männer träumen. Du bist praktisch ein verdammter Rockstar.“
„Ein verdammter Rockstar, ich hätte es nicht besser ausdrücken können. Aber im Garten Eden gibt es nur Adam und Eva. Keine Nadine, Anna, Janine, Bettina oder Daniela. Der Träumer, der sich seiner Scham bewusst ist, bin ich. Es gehört nicht viel dazu, eine Frau ins Bett zu bekommen. Manche quatschen sie einfach voll, andere füllen sie ab und bei mir sind es ein paar dämliche Tricks, auf die sie herein fallen. An meinem Bett konnte ich bisher jedenfalls keine fest zaubern.“ 

Die Wochen vergingen. Frank telefonierte noch ein paar Mal mit Tom, aber den Einladungen endlich auch seine Frau und seine Tochter kennen zu lernen war er seltsamerweise nie gefolgt. Es hatte sich verlaufen und Frank war auch nicht gerade unglücklich darüber, jedoch ohne zu wissen wieso. 
Frank machte seine Shows und betrank sich recht häufig. Seit dem Abend mit Tom vermied er es jedoch Frauen abzuschleppen. Er verspürte einfach kein Bedürfnis danach, im Gegenteil. Es widerte ihn regelrecht an. 
Irgendwann, als er mal wieder seine Schnapsvorräte auffüllen wollte, ein paar Tiefkühlpizzen brauchte er auch, stolperte er dank eines lang anhaltenden Katers über den Einkaufswagen einer Frau. Sie sah ihn verächtlich an, bis sie schließlich laut loslachte. 
„Na, das war wohl etwas zu viel gestern Abend!?“
„Ich weiß es nicht mehr genau, aber ich glaube, wir sollten eher von heute Morgen sprechen.“ Frank rappelte sich hoch. Erst jetzt fiel ihm auf, wie hübsch sie war. Wie sie ihn so anlachte, ging es ihm gleich besser. Und ihr Duft war so unbeschreiblich, Frank hätte auf der Stelle die Augen schließen und in Gedanken abheben können. Für einen kurzen Augenblick fragte er sich, ob sie wirklich so gut roch, oder ob es vielleicht daran lag, dass sie sich in der Kosmetikabteilung des Supermarktes befanden. Und dann war sie weg. Frank hatte gar nicht bemerkt, wie sie weiter gegangen war. Entweder war er doch noch übler neben der Spur als er dachte oder... Oder was? Frank wusste es nicht, es war einfach eine sehr wunderliche Situation. Er spürte nur, dass etwas anders war. Etwas hatte sich verändert. Er fühlte sich nicht mehr ganz so, als hätte er die Nacht in einem leeren Fass Schnaps verbracht. 
Als er schließlich seine Einkäufe beisammen hatte und an der Kasse stand, sah er sie wieder, diese Frau. Er konnte sie durch die verglasten Schiebetüren des Supermarktes erkennen. In der Mittagssonne wirkte ihr Anblick noch glücklicher. Ihr Gesicht war leicht gerötet. Franks spürte wie sein Herz heftiger zu schlagen begann. Dieses Gefühl war ihm völlig neu, vor keiner seiner Shows war er so aufgeregt. Seine Zauberei hatte ihm immer eine Art Sicherheit gegeben, doch von der war er nun weit entfernt. 
Franks Kopf war vollkommen leer. Er hatte keine Ahnung, was er tun sollte. Er stand da wie gelähmt und sah wie diese Frau ihre Sachen in den Kofferraum lud und drauf und dran war davon zu fahren. Plötzlich kam er zu sich, als hätte ihn eine Unsichtbare Macht wach gerüttelt. „Entschuldigen Sie bitte, aber ich muss kurz raus. Ich komme sofort wieder und bezahle das.“

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